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Omni-Channel: es führt kein Weg dran vorbei

Der Mode-Handel ist im Umbruch: war früher Amazon die Bedrohung, sind es nun Shein, Temu & Co. Kann der stationäre Handel da überhaupt noch bestehen? Mit welchen Strategien kann man zukünftig Erfolg haben, und wohin geht die Reise? Logistik express im Gespräch mit Norbert Scheele, Head of European Expansion, C&A und Vizepräsident des Österreichischen Handelsverbands.

Durch die Covid-Pandemie hat sich vieles geändert. Früher war das Rezept einfach: möglichst große Filialen in jedem Einkaufszentrum, dazu vielleicht ein Flagship-Store an prominenter Adresse in der Wiener Innenstadt. Dann kam der Lockdown und wenig später der Ukraine-Krieg, mit drastischen Folgen für die Energiepreise und damit die überhöhte Inflation. Alles in allem schlechte Karten für eine so schnelllebige Branche wie Fashion und Textil. Denn auch wenn die Läger voll sind – wer kauft schon eine Skijacke im Mai? Angesichts gestiegener Mieten ist die Standortfrage ein immer wichtigeres Kriterium.

Scheele: „Man muss sich als Unternehmen die Frage stellen: sind wir überall richtig vertreten? Gerade bei Einkaufszentren hat sich einiges getan. Es gibt immer weniger Geschäfte, die noch größer als 4.000 m2 sind. Auf dem Land haben Filialen in Einkaufszentren und Fachmarktzentren aber durchaus noch ihre Berechtigung.“ Zwischen 2019 und 2023 sind die Kosten bei Personal und Mieten um mehr als 20 Prozent gestiegen, gleichzeitig galt es, einen Umsatzrückgang, etwa durch Lieferunterbrechungen und damit geringere Warenverfügbarkeit, zu verkraften. In diesem Zeitraum hat laut Studie des Handelsverbands der gesamte stationäre Handel 6,2 Prozent an Haushaltsausgaben eingebüßt, wohingegen der Onlinehandel um beinahe +23 Prozent zulegen konnte. „Die große Herausforderung war und ist, die Kostenstruktur entsprechend anzupassen. Ein großes Problem, das mit politischem Willen aber einfach zu lösen wäre, ist beispielsweise die Mietvertragsgebühr, die Neueröffnungen erschwert“, meint Scheele.

Ein weiteres Problemfeld: die Suche nach geeignetem Personal. „Es ist heute noch viel schwieriger als vor der Pandemie, Mitarbeiter für Vollzeitstellen zu finden. Viele wären bereit, mehr Stunden zu arbeiten, wenn es sich auszahlen würde“, seufzt Scheele. So würde man beispielsweise in Ungarn bei 30 Prozent mehr Arbeitszeit auch 30 Prozent mehr Gehalt bekommen. In Österreich hingegen fressen die Lohnnebenkosten einen Teil davon wieder auf, und den Leuten sei ihre Freizeit mehr wert geworden.

Scheele: „Nach Frankreich hat Österreich die größte Regulierungswut. Der Handelsverband hat ein Maßnahmenpaket vorgestellt, wie man der Wirtschaft helfen und Bürokratie abbauen kann, indem man beispielsweise bestehende Rahmenrechtsprobleme löst – es fehlt allerdings an der Umsetzung.“ Bei C&A versucht man, durch flexible Arbeitszeitmodelle als Arbeitgeber attraktiv zu sein, so dürfen Verwaltungsmitarbeiter im Homeoffice arbeiten und bei Teilzeitkräften werden die Stunden auf möglichst wenige Tage aufgeteilt, damit die Mitarbeiter nicht nur für wenige Stunden kommen müssen.

Fertigung: Asien vs. Europa

Der überwiegende Teil der Kleidung, Textilien kommt aus Ländern wie China, Bangladesch und Taiwan und von dort via Schiffscontainer nach Europa. „Diese langen Transportwege bedeuten natürlich gewisse Unsicherheiten. Wie fährt der Container? Ist meine Ware wirklich auf dem Schiff? Das Modegeschäft ist saisonal geprägt, beispielsweise zu Ostern wird viel Kindermode gekauft und auch Weihnachten ist besonders umsatzstark. Kommt die Ware nun zu früh, fallen Lagerkosten an. Kommt sie jedoch zu spät, ist die Saison vorbei und das Geschäft verloren. Deshalb sind zuverlässige Partnerschaften so wichtig“, erläutert Scheele. Die Alternative wäre die Produktion in Europa – und geht es nach Scheele, wird das in Zukunft auch vermehrt zur Realität werden: „Schon heute werden für C&A in Mönchengladbach 900.000 Jeans unter Einhaltung sämtlicher Umweltauflagen gefertigt, und die kosten nicht mehr als die anderen. Meiner Meinung nach wird die Textilindustrie wieder nach Europa zurückkehren, das Transportrisiko ist einfach viel geringer.“

Temu, Shein & Co als rotes Tuch

Vor exakt 30 Jahren wurde Amazon gegründet, vor 25 Jahren startete die österreichische Website. Der Siegeszug war rasant und Amazon wurde schnell als Bedrohung des heimischen Handels betrachtet. Heute ist Amazon der führende Online-Händler in Österreich, gefolgt von Zalando, Otto- Group und Shop-Apotheke. Doch während Amazon inzwischen nach einigen rechtlichen Streitereien Steuern zahlt und die Verantwortung für die auf der Plattform verkauften Waren übernommen hat, überfluten nun die Onlineplattformen Temu und Shein den europäischen Markt. „Temu kommt mit 15 bis 20 Flugzeugen voller Waren täglich. Die Waren haben keine CE-Zertifikate und das Unternehmen umgeht den Zoll, indem Pakete falsch deklariert werden. Bei der Produktion werden keinerlei europäische Standards eingehalten – weder was die Punkte wie Kinderarbeit und Umweltschutz, noch den Einsatz von Chemikalien anbelangt. Von den Abgaben für die Verpackungsentsorgung ganz zu schweigen. Diese Praxis kann und wird den europäischen Markt nachhaltig schaden, wenn die EU hier nicht rasch handelt“, ist Scheele überzeugt. Persönlich hat er nichts gegen neue Wettbewerber, aber „der Wettbewerb muss fair sein – und das ist er aktuell nicht.“

Auch die „Gamification“, die Shein und Temu nutzen, sieht er als Problem: „Der Kunde wird durch spielerische Angebote und damit einhergehende extreme Rabatte dazu gebracht, immer mehr Zeit in der App zu verbringen und immer neue Waren auszuprobieren. Je aktiver man ist, desto mehr Bonusse erhält man“, erläutert Scheele. Das kann beispielsweise ein Glücksrad sein (bei dem man zufällig immer den höchsten Rabatt erdreht), oder Angebote, die (scheinbar) in wenigen Minuten ablaufen, um den Kaufanreiz zu erhöhen. Und das mit Erfolg: Temu, kapitalstarke Tochter der chinesischen Pinduduo Holding, hat 2023 weltweit mehr als 30 Milliarden Dollar umgesetzt und ist in weniger als einem Jahr Platz vier der Online-Marktplätze in Deutschland vorgerückt.

Das Konzept dahinter ist clever: die Produkte kommen direkt aus der Fabrik, der Zwischenhändler wird umgangen. Die EU möchte bis 2027 eine entsprechende Regelung finden – bis dahin könnte es für viele Händler aber schon zu spät sein.

Ist der stationäre Handel nun verloren?

„Nein“, ist Scheele überzeugt, „der stationäre Handel wird immer seine Berechtigung haben, aber als Unternehmen muss man heute mehr bieten.“ Das Zauberwort lautet „Omni-Channel“,
man muss die Kunden auf allen Kanälen erreichen – stationär, online, mit Mobile-Apps und auch mit Mischformen wie Click & Collect. Je besser das Online-Angebot, desto erfolgreicher ist auch das Unternehmen. Dazu zählt etwa eine Warenverfügbarkeitsanzeige, damit man sieht, in welchen Filialen etwas vorrätig ist. Ganz wichtig ist auch ein breites Angebot an Bezahlmöglichkeiten, damit es für die Kunden möglichst bequem ist. Aber klar sei auch, dass die Rentabilität der einzelnen Standorte auf dem Prüfstand stehen wird. Als Folge kann es durchaus sein, dass Filialen schließen müssen, oder übersiedeln.

Das Problem mit dem Lieferkettengesetz

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – kurz Lieferkettengesetz – ist an und für sich eine gute Idee, es hat nur einen entscheidenden Haken: es gilt nur für Unternehmen in der EU. Asiatische Unternehmer bekommen vermutlich einen Lach-Flash wenn sie sehen, mit welch zusätzlichem bürokratischem Aufwand sich die Unternehmen nun herumschlagen müssen. Bislang nur die großen, aber schrittweise wird es irgendwann jedes Unternehmen treffen.

„Es ist äußerst schwierig, sämtliche Teile der Kette bis hinunter zum Baumwollpflücker zu prüfen“, gibt Scheele zu bedenken, „insbesondere für kleinere Betriebe ist das aus praktischen und finanziellen Gründen extrem mühselig.“ Auch sei es schwierig, den Lieferanten all die nötigen Schritte und Formulare zu erklären, denn „für den amerikanischen Kunden muss er das alles nicht ausfüllen“. Seiner Meinung nach wäre es besser, wenn jeder nur jeweils ein bis zwei Schritte zurück in seiner Lieferkette prüfen müsste, um zu sehen, ob Standards eingehalten würden.

Wie sagte schon der berühmte Dramatiker Johann Nestroy? „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.“ Natürlich wird es in Zukunft einige Konkurse bei Modeunternehmen geben, aber das ist nichts Neues, die gab es auch vor der Pandemie und bevor der E-Commerce Einzug hielt. Wer seine Kostenstruktur im Griff hat, sich gut um seine Mitarbeiter kümmert (damit sie bleiben) und seinen Kunden verschiedene Bezugskanäle und möglichst viel Service (zB einfache Retouren) bietet, der hat durchaus gute Chancen, auch in den nächsten Jahrzehnten noch erfolgreich Geschäfte zu machen. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Journal 3/2024 – Handel & Distanzhandel

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