Österreich: Regierungsumbildung

Die Verkehrs- und Logistikwirtschaft hat einen neuen Minister für Verkehr, Innovation und Technologie. Doris Bures geht, Alois Stöger kommt. Eine Bilanz.

Die Verkehrs- und Infrastrukturpolitik – auch die von Österreich, wird in Brüssel gemacht. Damit ist klar, einzelnen Ländern bleibt nur die Aufgabe, ihren kleinen Beitrag für ein gemeinsames, europäisches Verkehrsnetz zu leisten. Dabei ist allen klar, Investitionen in die Infrastruktur sind nicht nur notwendig, sondern unverzichtbar, weil von ihnen das dringend erforderliche Wachstum abhängt. Wie Europa und die einzelne Staaten ihre wachstumsfördernden Investitionen in die Infrastruktur erhöhen könnten, lässt derzeit alle Köpfe rauchen. Dabei bleibt kein Tabu ausgeklammert. Denn es geht um viel Geld, um sehr viel Geld. Spricht man in Österreich noch von einstelligen Milliarden Beträgen, so ist es in Deutschland bereits ein zweistelliger Betrag, und in Europa wird gar von einem 700 Mrd. Euro Bedarf gesprochen. Dass dabei alle möglichen Finanzierungsquellen angedacht werden, ist klar. Konkrete Beschlüsse und Investitionsprojekte wurden schon beim Finanzministertreffen in Mailand Mitte September erwartet, jedoch dürfte frühestens Ende des Jahres mit formulierten Zielsetzungen zu rechnen sein.

Neben der europäischen Zielsetzung soll Verkehrspolitik auch im eigenen Land dafür sorgen, dass die Bedürfnisse der Wirtschaft, der Bevölkerung und der Umwelt nachhaltig befriedigt werden. Aber irgendwie will das in Österreich von Periode zu Periode nicht und nicht so richtig gelingen. Andauernd hat irgendwer zu meckern und jeder Verkehrsminis-ter oder jede Ministerin muss sich zuerst mit der Baustellenbeseitigung beschäftigen, die ihm sein Vorgänger/Vorgängerin hinterlassen hat, bevor sein/ihr sich den ursächlichen Aufgaben widmen kann. Aber leider ist es (nicht nur in Österreich) so, dass kaum ein Minister, eine Ministerin so lange im Amt ist, um verkehrspolitische Weichenstellungen für die Zukunft zu setzen. Die ausgeschiedene Verkehrsministerin Doris Bures ist da eine herausragende Ausnahme. Sie war die seit 30 Jahren am längsten an der Spitze des Ministeriums (fast 6 Jahre) stehende Ministerin und immerhin waren in diesem Zeitraum zehn (!) Verkehrsminister am Werk. Manche waren kaum ein Jahr im Amt,  und so mancher gerade so lange, um sich eine Ministerpension zu erwerben. Kein Wunder also, dass Bures zumindest in Teilbereichen Fundamente hinterlassen konnte, auf die ihr Nachfolger aufbauen kann.

Der Hauptkritikpunkt, der Bures aus der Wirtschaft zum Abschied nachklingt, lautet dass sowohl im Infrastrukturbereich als auch in der Standortpolitik zu wenig für die Industrie und Logistik getan wurde. Die Folge aus der Bures-Verkehrspolitik, so die Wirtschaft, Österreich ist im Logistics Performance Index (LPI) der Weltbank vom 11. auf den 22. Platz abgerutscht. Blödsinn, sagt der Bahnchef Christian Kern. Aber die Wirtschaft sieht sich zudem durch Maßnahmen der Verkehrspolitik und steuerliche Benachteiligungen auch in ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit gefährdet und wandert zunehmend ins Ausland ab. Die bisherige Verkehrspolitik führt in Österreich also eher dazu, dass Wertschöpfung in das Ausland ausgelagert wird und Verkehre um Österreich herum geführt werden. Schiffe und LKW fahren schon jetzt nur noch selten unter österreichischer Flagge. Die Transportwirtschaft moniert, dass die gesetzten Lenkungseffekte in Richtung Schiene versagt haben, denn der Güterverkehr bleibt weiterhin überwiegend auf der Straße. Allgemein verlangen die Industrie, Wirtschaft und Logistik mehr Förderung statt Behinderung durch die Verkehrspolitik.  “Österreich hat in allen Bereichen, die dem Infrastruktursektor zugerechnet werden, unbestritten Handlungsbedarf, sagt der Zeigefinger der Nation und Vorsitzender des Rates für Forschungs- und Technologieentwicklung, Hannes Androsch. Im aktuellen Infrastrukturreport wurden 200 führende Manager zur österreichischen Infrastrukturpolitik befragt. 71 Prozent der Befragten haben die Infrastrukturpolitik als Stückwerk qualifiziert und nur 14 Prozent konnten eine koordinierte Politik orten. Kein Wunder also, dass Wirtschaftskammer Präsident Leitl 2013 der Republik die Diagnose „abgesandelt“ stellte. Bis 2007 (vor dem Amtsantritt von Bures) konnte Österreich mit den Besten mithalten, so Leitl.  Auch wenn man den überzeichneten Leitl-Sager relativieren kann, der Präsident des Fiskalrates, Bernhard Felderer gibt zu Protokoll, Österreich liegt bei der Infrastruktur noch immer weit hinter anderen Ländern, und die Vereinigung assistiert: Österreich gerät im internationalen Standortwettbewerb zunehmend ins Hintertreffen. Alles persönliche Meinungen und Einschätzungen, könnte man einwenden. Jedoch, es gibt auch genügend Fakten, die diese persönlichen Befindlichkeiten untermauern und die Bilanz von Bures schwächen. Der Anteil der Binnenschifffahrt am Gesamtverkehr zum Beispiel war vor Bures und ist nach Bures unverändert knapp über der Wahrnehmungsgrenze. Da helfen auch keine statistischen Tricks. Ein beliebter Trick ist, Angaben zum Modal Split nur auf den Donauraum zu beziehen. Je nachdem, wie weit man den Donauraum ausdehnt, verbessert oder verschlechtert sich das Ergebnis. Im günstigsten Fall beträgt dann der Anteil der Binnenschifffahrt an der Gesamtverkehrsleistung 100 Prozent. Wie auch immer, „Die Schifffahrt ist das Stiefkind der österreichischen Verkehrspolitik und daran scheint sich nichts zu ändern“, stellt Wolfram Mosser, Sparten-obmann in der Wirtschaftskammer, fest. Allerdings muss man diesem dramatischen Befund wieder gegenüber stellen, dass die Einflussmöglichkeiten des Verkehrsministeriums in Österreich auf die Transportverlagerung hin zur Wasserstraße gering sind. Aber auch dort, wo Einflussnahme möglich ist und von Bures auch wahrgenommen wurde, schaut das Ergebnis trist aus. Der Bundesrechnungshof schreibt in seinem Bericht 2012 (Prüfzeitraum 2006-2010) zum nachhaltigen Güterverkehr-intermodale Vernetzung: Die auf Bundes-ebene für intermodalen Güterverkehr eingesetzten Mittel in Höhe von jährlich rd. 400 Mill. EUR entfielen fast ausschließlich auf die Unterstützung des Schienenverkehrs. Die Wasserstraße hatte im intermodalen Verkehr in Österreich kaum Bedeutung; das Hauptprogramm des Bundes zur Stärkung des Güterverkehrs auf der Wasserstraße Donau trug bislang nicht zur Verkehrsverlagerung bei. Auch die wichtigste Maßnahme des BMVIT zur Unterstützung intermodaler Verkehre (Abgeltung von Gemeinwirtschaftlichen Leistungen im Kombinierten Güterverkehr auf der Schiene) war kaum nachfragestimulierend und damit wenig treffsicher. Positiv betrachtet kann man einwerfen, bis auf wenige Ausnahmen haben auch die zahlreichen anderen Initiativen und Förderungen zur Transportverlagerung auf die Wasserstraße nichts gebracht – außer, dass sie vielleicht dem Selbstzweck dienlich waren. Und vielfach ist die Binnenschifffahrt selber nicht in der Lage, ihre Hausaufgaben zu machen.

NAIADES (Navigation and Inland Waterway Action and Development in Europe) ist, das Förderprogramm der EU für die Binnenschifffahrt. Es enthält die Empfehlungen für kon-krete Maßnahmen, auf deren Grundlage im Jahre 2006 auch der Nationale Aktionsplan für die Binnenschifffahrt (NAP) in Österreich ins Leben gerufen wurde und dessen Ziele bis 2015 abzuarbeiten sind. Österreich hat damit die Gunst der Stunde genützt und die Ratspräsidentschaft der Binnenschifffahrt gewidmet.
Eine wichtige verkehrspolitische Zielvorstellung im NAP ist (das Projekt läuft ja noch) zumindest eine Verdoppelung der auf der österreichi-schen Donau transportierten zwölf Millionen Tonnen Güter im Jahre 2006 auf 25 bis 30 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2015. Inzwischen hat man diese hehre Zielsetzung (laut GVP-2012) bereits auf +20 Prozent bis 2020 reduziert (Basis 2010 – 11 Mio. Tonnen), was der Rea-lität mit ein wenig Glück schon näher kommt. Vor allem dann, wenn die Statistik nachhilft. Plakativ wollte man 2006 auch eine Schlagzeile liefern und zeigen, wo die Reise hingeht, wenn Österreich in der EU etwas zu sagen hat: Durchschnittlich wartet man jetzt (2006) 70 Minuten auf der Wiener Reichsbrücke, um ein Güterschiff zu Gesicht zu bekommen, künf-tig sollen es nur noch 35 Minuten sein, schrieb man optimistisch im Nationalen Aktionsplan fest. Tatsächlich liegen wir heute bei 180 Minuten (wenn man Glück hat).

Das Verkehrssystem soll umweltfreundlicher werden. Ebenfalls eine konkret formulierte Zielsetzung der Verkehrspolitik unter Bures. Fakt ist, im nun vorliegenden ersten Sachstandsbericht zum Klimawandel für Österreich steht: Von allen Sektoren sind in den letzten beiden Dekaden die THG-Emissionen im Verkehr mit +55 Prozent am stärksten ge-stiegen. Unrealistisch zu erwarten, dass sich bis zum Ende der Laufzeit des NAP (2015) und auch bis zum Ablauf des aktuellen Gesamtverkehrsplanes (2025) etwas ändert. Dabei kann man Bures einen Willen zur Änderung gar nicht absprechen. Oft wurden in den vergangenen Jahren die unter Bures ins Leben gerufenen Technologiegespräche mit heimi-schen Wirtschaftstreibenden hervorgehoben. Zuletzt ging es um das Thema Förderung von Industrie 4.0 und ihre Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft. In Wahrheit geht es aber nach Bures nicht darum, einen Nutzen aus der neuen industriellen Revolution zu ziehen, sondern darum, ob es in Zukunft in Öster-reich überhaupt noch eine nennenswerte Industrie geben wird. Denn noch nie hat so eine maßgebliche Industrie wie die voestalpine AG laut darüber nachgedacht, aus Österreich abzuwandern. Und sie denkt nicht nur darüber nach, sie tut es auch bereits.

2011 hat Bures das Innovationsland Österreich proklamiert und das Land bereits als Innovation Leader gesehen. Patentamts-präsident Friedrich Rödler ortet 2014 jedoch dringenden Handlungsbedarf: „Um Österreich zum Innovation Leader zu machen, werden nachhaltige Rahmenbedingungen wichtiger als Lippenbekenntnisse sein“, sagt er und weist darauf hin, dass Österreich 2014 im europäischen Vergleich im Bereich der Innovation wieder Terrain verloren hat (Innovation Union Scoreboard 2014). Geschafft hat Bures im Jahre 2011 endlich, nach 20 Jahren, einen Gesamtverkehrsplan zu erstellen, der von der Wirtschaft lange und nachdrücklich eingefordert wurde. Die Umsetzung der darin enthaltenen Zielsetzungen wird wohl der Nachfolger von Bures angehen müssen. Denn mit den bisher erreichten Ergebnissen kann eigentlich nur die Bundesbahn zufrieden sein. Ihr Investitionsprogramm ist bereits auf Jahre abgesichert und der neue Verkehrsminister braucht sich darum nicht mehr zu kümmern. Wenn auch unter dem Zugzwang der dramatischen Folgen vergangener Hochwasserereignisse, hat Ministerin Bures in den letzten zwei Jahren ihrer Amtszeit wesentliche Weichenstellungen zur Reduktion der Hochwasserrisiken gesetzt. Auch wenn dem manche entgegen halten, dass durch die umgesetzten Maßnahmen lediglich das Problem verlagert, aber nicht beseitigt wurde. Den jetzt geschützten Bevölkerungsteilen wird das eher egal sein. International hat sich das Verkehrsministerium 2011 im Rahmen der EU Donauraumstrategie als Moderator für die Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse positioniert. Nachhaltige Erfolge lassen aber auf sich warten. Zumal die vorgesehenen Fahrwasserverbesserungen vor der eigenen Haustür (östlich von Wien, Wachau) noch keineswegs erreicht sind. Unbestritten sind die Erfolge von Doris Bures in ihrem Bemühen um die Frauenförderung. Ihr wird sogar attestiert, dass sie in ihrer Amtsperiode als Verkehrsminis-terin die beste Frauenministerin war. Nicht nur, weil auch Frauenmagazine aus dem Fördertopf des Verkehrsministeriums naschen durften, Bures hat die Frauenquote in allen Bereichen, in denen sie ihren Einfluss geltend machen konnte, mehr als verdoppelt.

Und jetzt steht ein ehemaliger Gesundheitsminister im Intensivraum des Verkehrsministeriums und muss mit dem Skalpell dem an Obsoleszenz leidenden Patienten Verkehrs- und Infrastrukturpolitik auf die Beine helfen. Was der Patient nach der Operation können muss, weiß der Onkel Doktor schon: „Eine moderne Infrastruktur ist unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg des Wirtschaftsstandortes Österreich. Verkehrswege – Schiene, Straße und Donau –, Luftfahrt und Telekommunikation sind die Lebensadern unserer modernen Gesellschaft. Sie verbinden Menschen untereinander und Österreich mit den entscheidenden Zukunftsmärkten“, sagte Alois Stöger bei der Amtsübernahme am 1. September 2014. Mit Adern wird sich der Ex-Gesundheitsminister ja auskennen. Und auf Christoph Leitl als Assistenzarzt mit seinen sicheren Dia-gnosefähigkeiten kann sich Stöger verlassen. Das sind schon mal gute Voraussetzungen für das Gelingen der Operation. Die Spielzeuglok, die Vorgängerin Bures als Einstandsgeschenk Alois Stöger überreicht hat, wird er bei der schweren Operation eher nicht brauchen. Sie war aber wohl auch nur als Symbol dafür gedacht, was im Verkehrsministerium wirklich Priorität hat(te). Die Themen der Zukunft im Transport und Verkehr sind definiert. Die Industrie verlangt von der neuen Bundesregierung den Auf- und Ausbau intelligenter und innovativer Verkehrsinfrastruktur (Verkehrsmana-gement zum Zwecke der Effizienzsteigerung und Kapazitätserhöhung) wie der Luftfahrt, des Straßengüterverkehrs, der Schiene und der Donauschifffahrt sowie deren ressourceneffiziente Bewirtschaftung.

Der neue Verkehrsminister ist angehalten, sich Gedanken darüber zu machen, wie Öster-reich die alten und neuen Herausforderungen lösen will. Da geht es vor allem um die Vernetzung der verschiedenen Technologien und Systeme in der Kommunikation. Es geht um die wachsenden Herausforderungen der Energieversorgung und um das Erreichen der Klimaziele unter Berücksichtigung zuneh-mender Warenströme. Und es geht darum, welche Rolle spielt der Mensch als Fahrer – egal ob auf der Straße, der Schiene, dem Wasser oder in der Luft – vor dem Hintergrund vollautomatischer Transportsysteme. Lösungen auf all diese Fragen sind vor allem und zuerst für den Transport und Verkehr im städtischen Bereich zu finden. Denn, die Urbanisierung ist die wahre Herausforderung für die Logistik. Wien wächst um 25.000 Menschen jährlich und wird schon in 20 Jahren die 3 Mio. Grenze überschreiten. Logistikzentren abseits der Wasserstraße zu errichten, wie das jetzt der Fall ist, wird für diese Aussichten nicht reichen. Was soll man dem neuen Minister für sein schwieriges Amt wünschen? Jedenfalls im Interesse der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik ein langes Überleben im Amt.

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 3-2014

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