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Ist Indien eine zunehmende Alternative zu China?

Indien zieht zunehmend Großunternehmen und Mittelständler an, die sowohl Materialien und Bauteile günstig beschaffen wollen, als auch Produktionswerke und FuE-Abteilungen im Land aufbauen wollen. Ein Grund dafür sind auch die sehr niedrigen Lohnkosten von Facharbeitskräften.

Redaktion: Dirk Ruppik

Die Pandemie hat der globalen Industrie die Verletzlichkeit der weltweiten Lieferketten deutlich vor Augen geführt. Um die Supply Chains resilienter zu machen, steht neben anderen Maßnahmen zunehmend die Diversifizierung der Versorgungswege auf dem Programm. Dabei werden verschiedene Strategien wie geografische Diversifizierung und Multi-Sourcing verfolgt. Um Risiken zu streuen und die Abhängigkeit vom Land der Mitte zu reduzieren, werden zunehmend Materialien und Produkte aus anderen Ländern wie Indien, Bangladesch, Mexiko, Thailand, Vietnam und anderen südostasiatischen Staaten beschafft. Beim Multi-Sourcing werden mehrere Lieferanten für dieselben Produkte genutzt. Lokalisierung und Regionalisierung verlagern Produktion und Beschaffung näher an die Endverbrauchermärkte, was zu kürzeren Lieferwegen und reduzierten Transportkosten führt.

Staatliche Kampagne zur Positionierung Indiens als Alternative zu China

Indiens Premierminister Narendra Modi setzt sich aktiv dafür ein, die größte Demokratie der Welt als attraktive Alternative zu China in den globalen Lieferketten zu etablieren (1).
Unter seiner Führung hat Indien mehrere Maßnahmen ergriffen, um ausländische Investitionen anzuziehen und die Produktionskapazitäten zu steigern. Zu den Maßnahmen gehören die Einführung des Programms „Make in India“, das darauf abzielt, Indien zu einem globalen Produktionszentrum zu machen und zudem umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur und Technologie zu fördern. Modi treibt auch Freihandelsabkommen voran und sucht neue wirtschaftliche Partnerschaften, um Indiens Position in der globalen Wirtschaft zu stärken. Die Regierung betont die Vorteile einer stabilen politischen Lage und eines großen, jungen Arbeitskräftepotenzials. Geopolitische Allianzen und wirtschaftliche Integration stehen ebenfalls im Fokus, um die Resilienz der Lieferketten zu erhöhen und die Abhängigkeit von China zu reduzieren.

Indiens Stärken und Schwächen

Indien bietet bei der Diversifizierung globaler Lieferketten bedeutende Stärken, aber auch einige Herausforderungen (2). Zu den Stärken gehört die große Verfügbarkeit an Rohstoffen, die essenziell für die meisten Industrien sind. Das Land verfügt über eine wachsende Basis an qualifizierten Fachkräften, was auch durch die hohe Anzahl an Ingenieuren und IT-Spezialisten belegt wird. Zudem sind die Lohnkosten in Indien im Vergleich zu vielen Ländern und auch China sehr viel niedriger, was die Produktion erheblich kosteneffizienter macht. Im Jahr 2022 lag der durchschnittliche Monatslohn für Produktionsarbeiter in China laut dem Reshoring Institute bei etwa 1257 US-Dollar, während er in Indien deutlich niedriger bei rund 270 US-Dollar lag.

Die indische Regierung verfolgt zudem aktiv eine unterstützende Strategie für ausländische Investitionen, die das Land zu einem globalen Produktionszentrum machen sollen. All das sind günstige Standortfaktoren für Beschaffung und Produktion. Zudem ist Indien aufgrund der Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte bei geringen Lohnkosten ein attraktiver Standort für Outsourcing in der globalen Forschung und Entwicklung. Der Trend wird nicht nur von Großkonzernen genutzt, sondern auch von deutschen Mittelstandsunternehmen. Die IT-Kompetenz in Indien eignet sich hervorragend, um Technologiezentren für die Entwicklung von Industrie 4.0 und für Servicefunktionen aufzubauen.

Trotz dieser Vorteile gibt es auch Schwächen, die Indien überwinden muss. Die Infrastruktur in vielen Teilen des Landes ist noch unzureichend entwickelt. Dies betrifft Straßen, Eisenbahnen und Häfen, was die Effizienz der Lieferketten beeinträchtigen kann. Logistische Herausforderungen sind ebenfalls ein Hindernis, da das logistische Netzwerk in Indien noch nicht so ausgereift wie in anderen großen Produktionszentren der Region ist. Zusätzlich gibt es bürokratische und regulatorische Hürden, die ausländische Unternehmen nach wie vor abschrecken. Indien zieht jedoch aufgrund seiner Vorteile zunehmend internationale Unternehmen an, die ihre Lieferketten diversifizieren und widerstandsfähiger gestalten möchten.

Indien lockt deutsche Unternehmen

Indien ist ein wichtiger Beschaffungsmarkt für deutsche Einkäufer (3), insbesondere in den Bereichen Automobilzulieferung und Maschinenbau. Im Land sind 550 Mitgliedsunternehmen des Verbands Deutscher Maschinen und Anlagenbau mit eigenen Niederlassungen vertreten. Indische Lieferanten bieten kostengünstige Alternativen, vor allem in der metallverarbeitenden Industrie, wie bei Kugellagern und Gussteilen. Maschinenbaubetriebe in Indien produzieren Textil-, Bau- und Werkzeugmaschinen zu wettbewerbsfähigen Preisen. Zudem betreiben über 1000 internationale Konzerne, darunter Siemens und Bosch, Forschungs- und Entwicklungszentren in Indien, um Produkte für Schwellenländer zu entwickeln. Indiens große Softwarebranche spielt ebenfalls eine zentrale Rolle im Export.

Beispielsweise bezieht Volkswagen eine Vielzahl von Komponenten für seine Autos aus Indien, um seine Produktions- und Lieferketten zu diversifizieren und zu optimieren. Zu den wichtigsten aus Indien bezogenen Komponenten gehören Motorenteile, Getriebebauteile, elektronische Komponenten wie Steuergeräte und Sensoren sowie Karosserieteile. Darüber hinaus werden auch Interieur-Komponenten wie Sitze und Armaturenbretter sowie Fahrwerkskomponenten wie Radaufhängungen und Dämpfungssysteme aus Indien beschafft.

Diese Beschaffung ermöglicht es Volkswagen, u.a. von den Kostenvorteilen und der hohen Fertigungskompetenz indischer Zulieferer zu profitieren. Die Volkswagen Marke Škoda Auto hat im Oktober 2023 in Puna ein neues Teileversandzentrum eröffnet (4). Die 16000 Quadratmeter große Anlage dient als Verpackungsbereich für komplett zerlegte Bausätze (CKD) der Modelle Kushaq und Slavia, die nach Vietnam exportiert werden. Dort werden sie geschweißt, lackiert und montiert.

Dies ist Teil der Strategie von Škoda, Synergien zwischen wichtigen Märkten zu nutzen und den ASEAN-Raum besser zu bedienen. Das Zentrum soll die Exportkapazitäten erhöhen und nachhaltige, qualitativ hochwertige Mobilität weltweit zugänglich machen. Bisher wurden die Modelle Karoq und Kodiaq in Vietnam aus europäischer Produktion angeboten. Ab 2024 beginnt die Montage von Fahrzeugen aus CKD-Kits aus Indien, zunächst mit dem Kushaq und anschließend dem Slavia. Škoda plant zudem, die Modelle Superb und Octavia in Vietnam einzuführen und die Enyaq-Serie als Reaktion auf die steigende Nachfrage nach Elektrofahrzeugen hinzuzufügen.

Die Igus GmbH investiert 100 Crore Rupien (ca. 11,5 Millionen Euro) in den Ausbau seiner Aktivitäten in Indien (5). Das Unternehmen errichtet eine neue Anlage in Bengaluru auf einem vier Hektar großen Grundstück mit einer Fläche von 84000 Quadratmetern. Die Investition soll die Produktverfügbarkeit verbessern und wertschöpfende Prozesse stärken. In der ersten Bauphase wurden bereits 15 Crore Rupien (ca. 1,73 Millionen Euro) investiert. Ziel ist es, den Umsatz

in Indien in den nächsten drei bis vier Jahren zu verdoppeln. Indien bietet aufgrund der genannten Vorteile deutschen Großunternehmen und ebenso Mittelständlern eine Alternative für die kostengünstige Beschaffung von Materialien und Bauteilen als auch für den Aufbau von eigenen Produktionswerken und FuE-Abteilungen. Trotz aller Euphorie sollte dabei aber nicht eine detaillierte Betrachtung der Nachteile wie der noch nicht ausreichenden Infrastruktur sowie bürokratischer und regulatorischer Hürden erfolgen. (RED)

Quelle: LOGISTIK express Journal 3/2024 – Transport & Logistik

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