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Goodbye Retouren -hallo bewusste Kaufentscheidungen

Durch die Möglichkeit kostenloser Retouren ist die Kultur des Kaufens, Ausprobierens und Zurückgebens für viele Shopper über lange Zeit zu einer typischen Gewohnheit geworden. Viele Konsumenten haben darüber allerdings vergessen: Gratis-Rücksendungen sind eigentlich überhaupt nicht kostenfrei.

Denn auch wenn die Kosten einer Retoure nicht direkt vom Kunden getragen werden, durchlaufen retournierte Waren mindestens zwei Verpackungsprozesse und müssen sowohl auf dem Hinweg zum Kunden als auch auf dem Rückweg zum Händler über längere Strecken transportiert werden. All dies verursacht Kosten, belastet die Umwelt und erhöht die logistische Komplexität.

Allein in Deutschland schicken Online-Shopper elf Prozent ihrer Einkäufe zurück – das ist jede neunte bestellte Ware, wie eine vom Digitalverband Bitkom in Auftrag gegebene Umfrage unter 1.050 Online-Shoppern ab 16 Jahren ergeben hat. Händler müssen dafür bis zu 10 Euro, die sich aus einer Reihe von Versand-, Lager- und Verpackungskosten zusammensetzen, pro zurückgesendetem Paket einplanen. Mittlerweile sind Bearbeitung und Wiederverkauf von Rücksendungen teilweise so teuer geworden, dass einige Shops, darunter auch Amazon, ihren Kunden absurderweise sogar raten, sich die Mühe der Rücksendung zu sparen und das Produkt einfach zu behalten. Eine Rückerstattung erhalten sie trotzdem.

Spielregeln im Wandel

Die von Einzelhandelsriesen wie H&M und Zara eingeführten Retourengebühren haben allerdings zu einem wachsenden Umdenken im Umgang mit Retouren im Online-Handel geführt. Die hohen wirtschaftlichen Kosten, die Retouren mittlerweile verursachen, führen dazu, dass sich langsam aber sicher bei immer mehr Händlern kostenpflichtige Retouren als neuer Standard durchsetzen.

Trotzdem sind viele in der Branche auch besorgt, dass Kosten für Rücksendungen potenzielle Kunden abschrecken könnten. Hier drängt sich allerdings eine interessante Frage auf: Wenn Konsumenten bereit sind, für Lieferungen zu bezahlen, warum dann nicht auch für mögliche Rücksendungen? Als Anfangsanreiz für einen Online-Einkauf haben Kunden den kostenlosen Versand zwar schnell akzeptiert, aber sie können sich auch wieder an kostenpflichtige Rücksendungen gewöhnen. Wenn der Rücksendungsprozess insgesamt so unkompliziert wie möglich ist, können Rücksendegebühren durchaus Teil einer neuen Lösung sein. Auch wenn die Erhebung von Rücknahmegebühren auf Online-Händlerseite in erster Linie wohl aus Kostengründen und nicht aus Umweltschutzüberlegungen erfolgen, können sie aus letzterem Grund eine sinnvolle Entscheidung darstellen, sofern der Rücknahmeprozess insgesamt problemlos möglich ist. Damit letzteres gelingt, sollten Einzelhändler ihren Kunden transparent kommunizieren, was bei der Rückgabe eines Produkts auf sie zukommt – sie müssen Bedingungen, Fristen und Verfahren klar erläutern. Diese Transparenz ist eine Grundvoraussetzung, Kunden nicht vom Kauf abzuschrecken. So zeigen Zahlen, dass 67 Prozent der Online-Shopper es nicht in Erwägung ziehen, in einem Online-Shop zu bestellen, wenn dieser keine klaren Informationen zur Rücksendepolitik verfügbar macht.

Eine weitere Voraussetzung ist es: Rücksendeprozesse müssen sehr einfach sein. Denn ebenfalls sind über die Hälfte der Online-Shopper der Meinung, dass sie Rücksendungen als Belastung empfinden. Online-Shops sollten diesem spezifischen „Pain Point“ ihrer Kunden bei der Gestaltung ihrer Retourenprozesse besondere Aufmerksamkeit widmen. So könnten sie ihren Kunden z. B. die Möglichkeit bieten, mit nur wenigen Klicks die für sie komfortabelste Rückgabemethode zu wählen – sei es Abholung, Paketschließfach oder Abgabe bei Packstationen.

Verantwortungsvolle Rückführung: Technologie als Game Changer

Online-Shops sollten nicht davor zurückschrecken, ihre Kundschaft zu einem verantwortungsbewussten Rückgabeverhalten zu ermutigen. Und auch sie selbst sollten sich um eine verantwortungsvolle Retouren-Politik bemühen. In der Praxis bedeutet dies, die eigene Rücksendeprozesse zu evaluieren und neu zu bewerten. Online-Shops sollten dabei vor allem verstehen, warum bestimmte Produkte überhaupt retourniert werden. Dabei können sie sich moderne Technologien zunutze machen – so lässt sich die Dynamik von Rücksendungen durch Predictive Analytics Lösungen heute schon sehr gut prognostizieren, sodass Händler ihre Rückschlüsse für ihre Retouren-Politik ziehen können. Zeigen die Daten z. B. ein wiederkehrendes Muster bei ihren Retouren aufgrund von Konfektionsgrößenproblemen, könnte eine Aktualisierung der betreffenden Produktbeschreibungen oder der Größentabelleninformationen ein Game-Changer sein.

Mit der „Return Merchandise Authorization“ (RMA) wurde ein System entwickelt, das über die einfache Retoure von Artikeln hinausgeht und in der Lage ist, die Details von Reparaturen, Rückerstattungen und Ersatzteilen optimiert zu verwalten. Über das System lassen sich je nach den spezifischen Garantiebedingungen oder den festgelegten Retouren-Richtlinien Rücksendungen genehmigen oder ablehnen. RMA kann so den Rückgabeprozess optimal und für alle Beteiligten so einfach wie möglich gestalten – mit dem großen Vorteil, dass Händler bei minimalem Arbeitsaufwand nicht die Zufriedenheit ihrer Kunden riskieren.

Auch „Virtual Try-On“-Technologien können Retourenprozesse erleichtern, da Kunden hierbei in den Genuss eines hochpersonalisierten Einkaufserlebnisses kommen, bei dem sie das Aussehen und die Passform ihres Produkts schon vor dem Kauf detailgenau sehen können. So können sie schon beim Kaufen ihrer Produkte eine sehr viel fundiertere Entscheidung treffen.

Die Zukunft der Retouren ist kostenpflichtig

Die neue Ära kostenpflichtiger Retouren wird sowohl Shops als auch Käufer:innen dazu veranlassen, ihre Rückgaberichtlinien und -gewohnheiten bewusster zu überdenken. Kund:innen werden sich es in Zukunft durch die Zunahme kostenpflichtiger Regelungen bei Rücksendungen lieber zweimal überlegen, ob sie einen Artikel kaufen, bei dem die Möglichkeit besteht, dass sie ihn zurücksenden müssen. Den Shops werden kostenpflichtige Rücksendungen ermöglichen, wirtschaftlichere, reibungslosen und insgesamt bessere Prozesse zu implementieren. Solange sie den Rückgabeprozess dabei insgesamt so einfach wie möglich gestalten, werden Online-Shops aber auch mit kostenpflichtigen Rückgaberegelungen erfolgreich sein können. [RED]

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 2/2022 – Handel & Distanzhandel

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